Mein Kindergarten
Es war der 10. Juni, der 161. Tag des gregorianischen Kalenders im Anno Domini 2015, als Nachmittags so gegen 15 Uhr plötzlich weißer Rauch aus Paps Handy aufstieg und Mutti uns mitteilte, „Die Schwestern vom Orden Santa Maria Josefa haben sich entschieden, sie nehmen Vivien ab Morgen früh 8 Uhr im Kindergarten auf“.
Schwestern, 8 Uhr, Kindergarten? Ich hatte keine Ahnung von alledem und nahm es daher erst einmal ganz gelassen. Auch als Papa erzählte das da viele Kinder sind, Frauen in einem weißen Gewand, das man Habit nennt und das nur Nonnen tragen dürfen und das ich ein Habit auch schon einmal bei seiner Schwester Hanna im Fernsehen bei „Um Himmels Willen“ gesehen habe, dort jedoch in Schwarz.
Papa meinte, dass ein schwarzes Habit hier sicher die Kinder erschrecken würde und die Schwestern es darunter bei 365 Tage Dauertemperaturen über 30 °C ganz sicher kaum aushalten würden. Er sollte recht behalten. Als unsere Schwester Hanna, die in Wirklichkeit Sor Mariluz heißt, uns an einem Sonntag besuchte, hat er sie gefragt und sie hat ihm genau das auch bestätigt.
Papa erzählte mir an dem Tag das er schon viel gutes gehört habe, von dem Kindergarten der einen ganzen Straßenblock einnimmt und von der Fläche her weit mehr als doppelt so groß ist wie Oma und Opas Grundstück. Das es dort viele Spielsachen gibt, das ich viele Freundinnen und Freunde haben werde und das er mich jeden Tag um 15:30 Uhr nach der Siesta wieder abholen wird.
Dabei wurde er dann eher wieder etwas ruhiger und die anfängliche Euphorie begann sich mit dem weißen Handyrauch allmählich in Luft aufzulösen, weil er plötzlich registrierte, das nun auch für ihn der Zeitpunkt gekommen war, wo er sein Schneckchen jeden Tag für fast 8 Stunden los lassen musste.
Was blieb, war ein lachendes und ein weinendes Auge. Das eine sah mich morgens weinend aus dem Haus gehen, das andere lachte, weil er endlich jeden Tag 6–7 Stunden Zeit für seine Arbeit hat.
Als Mama dann spät abends nach Haus kam, brachte sie ein Heftchen von etwa 30 Seiten mit, auf denen stand was zu tun und was zu unterlassen ist, welche medizinischen Untersuchungen und Impfungen ich nachzuweisen hatte, das ich nur die Kleidung des Kindergarten anziehen darf, täglich gekämmt und mit weißer Harrschleife zu erscheinen habe und der Zustand von Ohren und Fingernägeln ebenfalls kontrolliert wird. Verständlich, ich will mich ja von anderen auch nicht kratzen lassen.
Dann viel eine Liste aus dem Heftchen mit lauter Wörtern wie Uniformen, Uniformen für Sport, Straßenschuhe, Hausschuhe, Turnschuhe, Malblöcke, Buntstifte, Windeln, Creme, Feuchttücher, Zahnbürste und Zahnpasta, … die so lang war, das Papa meinte, wenn ihmdas früher so ergangen wäre, hätte der Opa das ganze Zeug sicher mit dem Trabbi in den Wachauer Kindergarten karren müssen. Außer die Feuchttücher, die gab es ja damals noch nicht.
Papa las am Abend dann noch das ganze Büchlein zu Ende, weil am nächsten Morgen auch für Mama und Papa Vorstellungstermin war und sicher die eine oder andere Frage auftauchte. Er schmunzelte beim Lesen an der Einen‑, staunte an der anderen Stelle und erschrak auch mal.
Da war zum Beispiel der Textteil „Kinder die permanent Rumheulen, sind für diese Zeit von den anderen zu isolieren“. Ups, das klang nach verschärfter Einzelhaft mit Ketten an den Händen und Füßen, bei Wasser und Brot in einem finsteren Verließ. Dem ist natürlich nicht so. Insgesamt kümmern sich dort fast 15 Personen um 70 Kinder und der Kindergarten ist riesig, da ist immer jemand da, der einen Heuler mal zu Seite nimmt und mit ihm eine Runde ums Haus spaziert.
Insgesamt haben wir fünf Schwestern, vier Erzieherinnen, eine Kinderärztin, eine Psychologin, eine Ernährungsberaterin, eine Sekretärin, drei Köche und einen Hausmeister. Das heißt, wenn irgendwann Not am Mann ist, so zum Beispiel beim Mittagessen, hält jeder der Zeit hat einen Löffel in der Hand und hilft bei der Raubtierfütterung.
Als Papa beim lesen an die Stelle kam wo stand: „Die Tür öffnet sich morgens um 7:30 Uhr und schließt pünktlich um 8:00 Uhr“ musste er so laut lachen das Mama und ich munter wurden. Pünktlich 8:00 Uhr … das in Lateinamerika. Die Erfahrung der ersten Wochen zeigt aber, es geht, 8:00 Uhr startet das Frühstück, niemand fehlt und die Tür ist zu.
Dann war da noch die Stelle an der Stand, dass die Kindern morgens von den Schwestern an der Haustür/Straße in Empfang genommen werden. „Ob sie da wohl rumheulen wird, fragte sich Papa“? Am Tag 2, 4 und 5 ja, ganz kurz, so berichtete uns Sor Mariluz, danach rannte ich schon von der Straße ganz alleine rein um meine Kumpels und Sor Mariluz zu begrüßen.
Diese Maßnahme dient dazu, ein morgendliches Chaos und Heulkonzert innerhalb des Kindergartens zu vermeiden. Der Abschied kommt sowieso, unausweichlich, also kann das kurze Heulkonzert auch am Eingangsbereich stattfinden, bis man sich über den weiten Weg der über den Sportplatz, vorbei am Spielraum zum Frühstückstisch führt, wieder beruhigt hat. Ein Kind das die ersten Tage nicht morgens heult beim Abliefern, das würde ja bedeuten das Kind freut sich auf das Neue, weil es ihm zu Hause nicht gefällt. Ein paar Tränen sind da schon in Ordnung.
Nachmittags zum Abholen öffnet sich die Tür ebenfalls ganz pünktlich um 15:30 Uhr und Papa darf dann auch rein, dahin wo wir spielen, essen und schlafen und Sor Mariluz erzählt ihm dann, ob ich gut gegessen, geschlafen und einen ordentlichen Schiss gemacht habe.
Es ist ein katholischer Kindergarten wo ich nun hingehe, benannt nach Santa Maria Josefa, einer spanischen Heiligen, die 1842 in Vitoria geboren wurde und bis zu ihrem Tod 1912 in Bilbao wirkte. Die Maria Josefa wurde 1992 von Johannes Paul II selig und im Jahr 2000 von ihm heilig gesprochen.
Da die Schwestern im ersten Stock des Kindergartens auch wohnen, hat dieser eine sehr schöne Kapelle, in die wir aber nur zu bestimmten Anlässen und dann auch nur mit den Schwestern und den Eltern rein dürfen. Wenn dort eine Horde von 70 Ameisen zwischen 1,5 und 5 Jahren zum Gottesdienst erscheinen würde, wären die Hostien stibitzt und der Messwein verschüttet, noch bevor die Messe gelesen ist.
Die Gruppen im Kindergarten werden bis zu ihrer Verabschiedung mit 5 Jahren zum Schulunterricht immer in etwa zusammen bleiben. Was wechselt werden die Erzieher sein, denn ab 2 Jahre wird dort schon mal das eine oder andere Wort Englisch vermittelt und von einem Kind das in die Schule kommt erwartet man in Kolumbien das es schon fast lesen und schreiben kann. Das ist aber nicht nur hier so, sondern Landesüblich und ein Punkt, der dem Papa schon immer quer im Magen gelegen hat, weil er meint, das man bis zur Einschulung spielen, Dummheiten und Unfug machen, aber nicht lesen und schreiben lernen soll.
Montag, Mittwoch und Freitag sind normale Spieltage, Dienstag und Donnerstag ist Sport. Gut aufgeteilt damit die Eltern die sich jeweils nur eine Uniform leisten können, auch Zeit haben diese zu waschen. Nach dem Frühstück geht das Spielen, turnen oder spazieren gehen los, bis 11:30 Uhr Hände waschen angesagt ist und am Essstühlchen Platz genommen wird. Pünktlich 12:00 Uhr gibt es dann das Essen und ihr werdet auf den Fotos sehen, dass dann der eine oder andere schon wieder mit dem Sandmann kämpft.
Nach dem Essen legt Sor Mariluz die Matratzen aus und noch bevor ich richtig an Papas La Le Lu gedacht habe, bin ich auch schon eingeschlafen. Nach dem Mittagsschlaf, also der Siesta geht es zum Zähne putzen, dann gibt es Tee oder Saft und Kekse und schon bald ruft die innere Uhr das es nicht mehr lange dauert, bis der Papa mich abholt und mein Dundee zu Hause schon auf mich wartet.
Urlaub gibt es eine Woche im Sommer und eine zu Weihnachten, ansonsten hat jeder täglich zu erscheinen. Wer durch Abwesenheit glänzt, hat ein Attest vom Arzt vorzulegen. „Mutti ich habe heute keine Lust, schreib mir mal bitte eine Entschuldigung“ zählt nicht und wird nicht akzeptiert.
Der Papa sagt, das hat was mit der Einhaltung einer kontinuierlichen Erziehung zu Pünktlichkeit, Disziplin und Ordnung durch die Schwestern zu tun. Das verstehe ich zwar mit meinen anderthalb Jahren noch nicht so ganz, muss ich aber auch nicht. Auf jeden Fall macht es Spaß dort hinzugehen.
Eure Vivien Sophia
Hier nun einige Bilder vom Kindergarten.
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